Herzlich Willkommen!

Herzlich Willkommen!

Möge die Kraft des Lichtes stets auf eurer Seite wandeln, sodass ihr den Weg durch die Finsternis findet!

Das 5-Seelen-Schwert



Elfen, Drachen, Vampire – eines haben sie alle gemeinsam: Schon tausend Autoren haben über diese – ohne Zweifel mystischen, interessanten und machtvollen – Wesen in ihren Werken berichtet. Die Anfänge meiner Geschichte begannen mit der Idee, über Wesen zu schreiben, über die noch kein anderer geschrieben hat. Ohne Zweifel war dies nur möglich, wenn ich mir eine komplett neue Art von Fantasywesen ausdenke. Und hier sind sie: die Finsteren.

Schon seit jungen Jahren träumt der siebzehnjährige Ivan davon in die Fußstapfen des legendären Kriegers Flavius, der damals als Auserwählter die Welt vor dem Untergang rettete, zu treten.
Innerhalb weniger Stunden verwandelt sich der Traum des Jungen in Realität, als er entdeckt, dass die Welt nicht so friedlich ist, wie er glaubt; sein Dorf von brutalen Monstern angegriffen wird und er wenig später zu seinem eigenen Schutz das heilige 5-Seelen-Schwert aus dem Stein zieht und damit den schlimmsten aller Finsteren zurück ins Leben ruft: Maurius.
Ivan muss handeln. Er bricht unter Anleitung seines Lehrmeisters Flink mit seinen Freunden zu einer Reise auf, die gefährlicher und komplizierter werden soll, als die von Flavius je hätte sein können. Denn nicht nur Maurius ist stärker geworden, sondern die gesamten Finsteren – und ihr grausamer Herrscher wird nicht ruhen, bis er das 5-Seelen-Schwert in den eigenen Händen hält ...



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Band 1: ISBN: 978-3-8459-0164-0
Band 2: ISBN: 978-3-8459-0012-4
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"Klasse, die Geschichten, die Charaktere, die Leiden, die Freude, die Umgebung und die Gewalt- und Kampfszenen toll erzählt! Immer mit einer Spur Menschlichkeit, zumindest in den Gedanken des Helden Ivan, garniert." (smalltowngal bei amazon.de)


Leseprobe:


Prolog: Vorhang aus Flammen

Die Sonne hatte bereits seit ein paar Stunden die Grenzen des Horizontes unterschritten. Dunkle
Nacht erfüllte die Umgebung mit ihrer Finsternis. Der Mond schien auf das kleine Dorf hinab, wie
eine leuchtende Fackel, die ein dunkles Zimmer sanft erhellte. Menschen schlummerten friedlich in
ihren Hütten und auch die Tiere schliefen tief und fest in ihren Höhlen, Bauten und Nestern, kuschelten
sich ein und genossen die Unantastbarkeit der Nacht.
Die friedliche Stille wurde plötzlich von einer donnernden Stimme unterbrochen: „Paisaje en llamas!“
Alles geschah in Sekundenschnelle: Ein greller Blitz zischte mit einem lauten Surren durch die
dunkle Landschaft. Fast im selben Moment schlug er in ein altes Bauernhaus ein und ließ dieses in
Flammen aufgehen.
Das Feuer erleuchtete die Hütte in einem grellen Ton. Es gleißte in allen Farben des Phönix' und
drängte die nächtliche Dunkelheit in ihre Schranken. Die komplette Gegend erschien taghell, während
bissige Flammen sich langsam in das Holz der alten Heimstätte hineinfraßen.
Die Bewohner des schlafenden Dorfes nahmen von den dunklen Ereignissen nichts wahr – trügerische
Stille erfüllte die Nacht. Nur langsam erhöhten die Flammen ihre lauernde Intensität, während
sie anfingen, laut knisternd das Haus zu verschlingen.
Die Wände und das Mobiliar fingen schneller Feuer, als man es mit bloßem Auge nachvollziehen
konnte. Alte Sandsäcke, provisorische Schränke und komplette Wände weinten in einem bissigen
Rot. Die flammenden Gluten verzehrten die Hausausstattung genüsslich, während drei Erwachsene
mit zwei Kindern versuchten, den gefährlichen Flammen zu entfliehen.
Eine Frau mit langen blonden Haaren, eines der Kinder auf dem Arm tragend, bahnte sich gemeinsam
mit einem älteren Mann einen Weg durch das brennende Holz. Makellose Haut und straffe
Gesichtszüge prägten für gewöhnlich die Schönheit der jungen Dame, doch in diesem Moment
wurde jede Eleganz in den Schatten gestellt. Die Angst trieb ihr Schweißperlen auf die Stirn, die
dumpf auf den Boden tropften. Eine Falte zwischen ihren Augenbrauen zitterte und ließ sie älter
wirken, als sie in Wirklichkeit war. Die Adern pulsierten aufgeregt. Die zierliche Nase der jungen
Frau war zu einem halben Knoten gerümpft, die weichen Lippen schlotterten im kochend heißen
Feuer.
Der Mann an ihrer Seite räumte auf magische Weise die brennenden Möbel vor ihnen aus dem
Weg, sodass sie sich eine Fluchtmöglichkeit aus dem Haus bahnen konnten. Die Worte, die er hierfür
benutzte, klangen unverständlich, denn er sprach sie so leise aus, dass die Frau sich nicht einmal
sicher war, ob er sie selbst verstand. Er schien wesentlich älter als sie. Braune Haare und ein dunkler,
sehr gepflegter Vollbart zeichneten sein von Falten durchzogenes Gesicht. Die Anstrengung
funkelte aus seinen Augen. Er versprühte trotz der lauernden Gefahr eine gewisse Ruhe und eine
natürliche Gelassenheit.
Die beiden flohen. Ihnen folgte mit schnellen Schritten ein Mann, älter als die Frau, jünger als ihr
Gefährte. Er bahnte sich ebenfalls einen Weg durch die Flammen. Auf seinem schmalen, hochgewachsenen
Kopf saßen kurze braune Haare, die im grellen Feuer rot leuchteten. Seine blauen Augen
glühten. Hass spiegelte sich in ihnen wider und verdrängte jede andere Empfindung. Auf seinen
muskulösen Armen trug er ebenfalls ein kleines Kind.
„Gib mir das Kind!“, schrie der Fremde durch das brennende Haus. Seine Stimme wirkte kalt, fast
wie Eis und bohrte sich bis ins Mark der beiden anderen.
Ein Schrei, erfüllt von Angst, hallte durch die Umgebung: „Nein!“ Die Frau klammerte ihre Arme
noch fester um das Kind, während sie und ihr Gefährte sich weiter einen Weg durch das Gebäude
bahnten. Niemals würde sie ihm ihr Kind überlassen!
Der von Hass und Kälte geprägte fremde Mann verfolgte die beiden, als sie sich durch einen engen
Spalt in das nächste Zimmer drückten. Er kam rascher näher, als ihnen lieb war, und zwang die
beiden Fliehenden zur Beschleunigung. Wenn sie ihr Tempo nicht anzogen, würde es wohl nur
noch wenige Atemzüge dauern, bis er sie einholte.
Der Zauberer an der Seite der Frau löschte Teile des Feuers vor den beiden Flüchtlingen, die
durch das Anwenden der Magie kostbare Zeit verloren. Wenige Augenblicke später mussten sie erneut
einem Hindernis ausweichen. Ein Balken krachte hinter dem Zauberer in die Tiefe. Die Frau
blieb schockiert stehen, als das Holz auf dem Boden entzwei splitterte, in Flammen aufging und sie
und ihren Gefährten trennte. Im selben Moment riss sie jemand am Arm und zog sie zu sich – ihr
Verfolger hatte sie eingeholt.
„Arane“, raunte die tiefe Stimme ihres Gefährten. Zum ersten Mal seit ihrer Flucht verspürte er so
etwas wie Angst.
Arane kämpfte mit den Tränen, als ihr Verfolger an ihrem Arm zerrte. Sie würde nicht weinen,
nicht vor ihm. Schließlich packte der grausame fremde Mann sie fester und drehte sie zu sich. Die
beiden Kinderträger starrten sich direkt in die Augen. Trauer, Leid und verwunderlich tiefe Zuneigung
zeichneten die Blicke der Einen, Hass und Wahn die des anderen.
„Es ist vorbei.“ Der Verfolger grinste triumphierend. Arane erwiderte den Satz mit einem energischen
und verzweifelten Kopfschütteln. Die Situation schien ausweglos, die Erfolgsaussichten gering.
Aber kampflos würde sie das Kind niemals aufgeben.
In der Zwischenzeit zerrten die grellen Flammen immer mehr an dem Gebäude. Das Holz an der
Decke löste sich langsam von den Wänden. An manchen Stellen des Hauses krachte der Giebel bereits
ein, an anderen verschlang das Feuer die Wände und brannte immer größer werdende Löcher
in die Holzmauern. Der Zauberer hielt treu zu seiner Gefährtin und versuchte verzweifelt gegen die
Urgewalt anzukommen, das Feuer im Zaum zu halten. Sie brauchten einen Fluchtweg, wenn Arane
sich von ihrem Verfolger gelöst hatte.
„Wir brauchen das Kind“, zischte der Mann mit einer dunklen Stimme, „also gib es uns. Wir
brauchen beide Kinder.“ Als sich nichts tat, erhöhte er die Intensität in seiner Stimme und forderte:
„Gib mir sofort das Kind, das du auf dem Arm trägst!“ Diesen Satz schrie der Mann so laut, dass
die Überreste des Hauses unter seiner bebenden Stimme erzitterten.
Arane konnte nicht genau sagen, welcher Eifer oder welche Hoffnung sie zu dieser Tat trieb.
Doch mit ihrer gesamten Wut verpasste sie dem Tyrannen einen Tritt in den Unterleib.
Ihr Herz schien zu explodieren, als ihr Gegenüber laut aufschrie. Ihre Zunge taumelte verwirrt in
ihrer Mundhöhle umher und spielte eine sich wehrende Katze. Die junge Frau riss sich zusammen.
Ohne weiter nachzudenken, sprang sie über den bereits abgebrannten Balken und betrat den von
ihrem Gefährten geebneten Weg. Gemeinsam rannten sie weiter, während ihr Verfolger sich vor
Schmerz krümmend auf dem Boden zusammenkauerte. Das Kind, das nun zu schreien begann, hielt
er dabei fest umklammert.
„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, sagte der Zauberer mit einer so ruhigen Stimme, als säßen sie
bei einer Tasse Tee. Er machte den Weg durch das große Haus mithilfe seiner magischen Fähigkeiten
frei, indem er alles zur Seite schob, zerstörte oder bereinigte. Was er genau tat, vermochte Arane
nicht mehr zu sagen. Es ging alles zu schnell, fühlte sich an, als wäre sie noch halb im Schlaf.
An einer Stelle des Gebäudes löschte ihr Freund mit einem Wasserspruch das Feuer, das sich gerade
in die Wand brannte. Die beiden flohen durch das Loch ins nächste Zimmer.
Arane blickte noch einmal zitternd zurück und stellte zufrieden fest, dass ihr Verfolger noch immer
am Boden lag. Nur schweren Herzens ließ sie das Kind zurück, das er weiterhin mit seinen
Händen fest an sich drückte.
Plötzlich knallte direkt vor der jungen Frau und ihrem Gefährten ein Balken zu Boden. Die Herzen
der beiden kämpften in diesem Moment gegen die Ohnmacht. Die Fliehenden ließen sich jedoch
nicht aufhalten. Sie sprangen nach einem kurzen Schrecken über das brennende Holz, dessen
Feuer sich langsam in den Boden bohrte, und setzten ihren Weg fort.
Als sie den nächsten Raum erreichten, stoppten die beiden für einen kurzen Moment der Vorfreude.
Das Herz der jungen Frau pochte, der Gefährte schrie einen dumpfen Freudenschrei aus – ein
Raum von ihnen entfernt lag der sichere Ausgang.
Die beiden warfen einen letzten Blick zurück und ihre Hoffnung zerschlug sich in genau diesem
Moment: Der von Hass erfüllte Mann hatte sich wieder aufgerafft und nahm vor Anstrengung
schnaufend erneut die Verfolgung auf. Sein keuchender Atem hallte durch das ganze Haus und
verwandelte die glühende Hütte in einen tyrannischen Flammenvulkan. Das Kind auf seinem Arm
schrie von Angst und Hilflosigkeit heimgesucht. Arane konnte die Wut des finsteren Mannes spüren,
als wäre es ihre eigene.
Jetzt packte Arane ihren Gefährten am Arm: „Komm, Flink. Wir schaffen das!“
Flink nickte siegessicher. Die beiden setzten sich schleppend in Bewegung, um Augenblicke später
erneut zu rennen, so schnell ihre Beine es ihnen ermöglichten. Noch einmal zurückzuschauen
wagten sie nicht.
Arane schnappte nach Luft, als ihr Verfolger direkt hinter ihnen auftauchte. Die junge Mutter zitterte
am ganzen Leib. Sie begann stoßweise zu atmen, als der Tyrann sie am Handgelenk packte.
Fingernägel wie Krallen bohrten sich in ihr zartes Fleisch. Das Blut in ihren Adern gefror. Diesmal
gab es kein Entkommen. Ihr Feind spannte seine Muskeln so fest um ihr schmales Handgelenk, dass
nicht einmal Flink etwas für sie würde tun können.
Schnell übergab sie ihrem letzten Hoffnungsträger das Kind, stieß ihn mit letzter Kraft ein Stück
von sich und schrie mit ihrer letzten Energie: „Flieh! Bitte, Flink, flieh!“ Im selben Moment schleuderte
der Mann sie brutal nach hinten in das lodernde Feuer, das in Windeseile ihre Kleider verzehrte.
Wie ein hungriger Bär brannte es sich in ihre sanfte Haut. Arane schrie vor Schmerz, ehe die
Flammen sie verschlangen und ihr hübsches Gesicht für immer mit sich nahmen.
Flink, nun das Kind auf seinem Arm, hastete zur Tür. Mit einem weiteren Spruch seiner Magie
sprengte er einen Stuhl aus dem Weg. Der zweite Mann folgte ihm so schnell er konnte. Er wusste,
dass die Zeit gegen ihn spielte. Wenn Flink durch die Tür entkam, war es zu spät. Dann hätte er die
Flucht geschafft und konnte nicht mehr eingeholt werden.
Der Zauberer eilte weiter Richtung Ausgang. Auch er wusste, dass die gelungene Flucht fast
greifbar über ihm schwebte: Der Ausgang streckte bereits seine unsichtbaren Hände nach ihm aus.
Tränen füllten seine Augen. Zu schrecklich traf ihn der Tod der jungen Frau, der ihn wie ein Albtraum
überfiel. Doch er eilte weiter, ließ die schlimmen Gedanken nicht zu. Zum Trauern blieb keine
Zeit. Er musste entkommen, er musste mit ihrem Kind entkommen. Denn das kleine zarte Wesen
war das Einzige, was ihm noch von ihr geblieben war.
Das Feuer stillte weiter seinen Hunger. Balken bogen sich, die Wände krachten zusammen und
ein Meer aus Flammen entfesselte sich auf dem schlichten Holzboden. Beide Männer mussten immer
wieder achtgeben, nicht von brennenden Holzstücken getroffen zu werden.
Flink zuckte zusammen, als der Mann mit der kalten Stimme plötzlich zu schreien begann:
„Nein!“ Der Ausruf hallte durch das ganze Haus. Seine Hände krallten nach vorne, in die leere heiße
Luft. Seine rot glühenden Augen zuckten. Er konnte es nicht fassen: Flink und das Kind erreichten
den Ausgang.
Als der Zauberer den letzten verzweifelten Schrei seines Verfolgers hörte, breitete sich ein schmales
Lächeln auf seinen Lippen aus. Seine Augen funkelten vor neuer Hoffnung, ehe sich Leere und
Trostlosigkeit in seinem Blick ausbreiteten. Schließlich murmelte er etwas und verschwand mit seinem
letzten Zauber in der Dunkelheit der Nacht.


Ein junger Krieger

Eine wirbelnde Umdrehung brachte die Luft zum Flattern. Es folgte ein gewaltiger Schwertschlag.
Ivan hielt sich schützend sein Holzschwert vor die Brust, wodurch er den Angriff seines
Gegenübers erfolgreich abwehrte. Jetzt wandte er sich einmal im Kreis; seine braunen, zerzausten
Haare wehten im sanft fließenden Wind der grünen Landschaft. Der Junge schlug mit gewaltiger
Kraft zu. Sein Gegner, Ivans treuer Freund Jonas, fiel durch die Wucht des donnernden Angriffs zu
Boden. Er landete direkt in einer Pfütze aus nassem Schlamm, die der letzte Regen übrig gelassen
hatte.
„Tot.“
Nachdem Ivan seine Schwertspitze mit der linken Hand vor ihn gehalten hatte, stand sein bester
Freund wieder auf. Die blonden Haare vor Dreck triefend, die Gewänder verschmutzt wie ein wühlender
Hund.
Die beiden Jungen lachten unbefangen. Es war schön, wenn man neben dem harten Training gemeinsam
so viel Spaß haben konnte.
Jonas lächelte verlegen, als er Ivan gegenüberstand. Wie er jetzt erst bemerkte, war die Pfütze, die
zur Hälfte an seiner Kleidung klebte, die einzige in der Umgebung. Typisch. Er hatte schon immer
eine Vorliebe dafür, auf Pech wie ein Magnet zu wirken.
Den Rest der Gegend durchzog ein schimmerndes Grün, geprägt von den wunderschönen Farben
und Tieren der wilden Natur. Alles glänzte sanft ruhend und anmutig in einer einmaligen Farbenpracht.
Die Sonne ließ ihre hellen Strahlen auf das frische Kampfareal fallen, in dem Ivan und Jonas
sich gegeneinander erprobten, ohne dabei die friedliche Idylle zu stören.
„Das nächste Mal werde ich dich besiegen.“ Jonas konnte ein schmales Grinsen nicht unterlassen.
Der verbale Nebenkampf zwischen ihm und Ivan zog bereits seit einigen Wochen seine Kreise.
„Vielleicht, wenn das nächste Mal in zehn Jahren ist“, entgegnete der andere Junge. Seine Lippen
kräuselten sich ebenfalls zu einem herausfordernden Schmunzeln.
Jonas lachte.
Ivan ließ seine Augen in Richtung Osten wandern. Mehrere Häuser aus Holz standen dort dicht
beieinander auf einer grünen Graslandschaft, die an Pracht und Schönheit ihresgleichen suchte. Es
kribbelte nach all den Jahren, die er seit seiner Geburt schon hier verbracht hatte, immer noch verliebt
in dem Jungen, wenn er auf die prächtigen Heimstätten und die wundervolle Natur blickte. Die
hellen braunen Farben der Bauten und das schöne Grün umher spielten makellos zusammen. Sie
ließen das ganze Dorf wie einen polierten Smaragd glänzen.
„Ich glaube, ich sollte langsam nach Hause gehen.“ Ivan hätte gerne noch weiter mit Jonas geübt,
aber die Zeit rannte an manchen Tagen wie ein aufgescheuchtes Pferd, das von einer Mücke gestochen
worden war. Die Sonne drang bereits in den Horizont ein. Ihr Schatten setzte sich über Ivans
Gemüt und ließ ihn schwächer und müder werden.
„Ich werde jetzt auch gehen.“ Jonas machte auf dem Absatz kehrt und verließ ihren Trainingsplatz
in die entgegengesetzte Richtung, die Ivan einzuschlagen hatte. Auch das war typisch für ihn. Jonas
machte sich nicht viel daraus, sich zu verabschieden. Meistens verschwand er genauso spontan, wie
er an einigen Tagen kam.
Ivan blieb allein auf der Wiese zurück, den Blick auf den Himmel gerichtet. Die Tage vergingen
viel zu schnell. Wie spät es wohl schon wieder sein mochte? „Sie werden wohl bald nach Hause
kommen“, murmelte er leise. Dann verließ auch er seinen und Jonas' täglichen Treffpunkt.
Ivan ging im Gegensatz zu anderen Gleichaltrigen nicht zu seinen richtigen Eltern. Wenn er täglich
nach Hause kam, traf er auf seinen Onkel und seine Tante, die ihn wie ihr Kind aufzogen. Eltern
hatte Ivan nicht mehr, kannte sie auch nicht. Es war dem Jungen verwehrt geblieben, seine Erzeuger
jemals kennenzulernen. Nicht einmal in blassen Erinnerungen. Über fünfzehn von seinen
siebzehn Lebensjahren lebte er jetzt schon bei seinem Onkel und seiner Tante, die ihm so viel bedeuteten,
wie anderen Kindern Mutter und Vater. Über oder von seinen Eltern hatte er in all der Zeit
nie etwas gehört. Weder von dem Halbbruder seiner Mutter und dessen Frau, die dem Jungen jede
Antwort auf seine Fragen verwehrten, noch von einem anderen der Dorfbewohner. Die Zieheltern
des Jungen hatten ihn damals als noch sehr kleines Kind vor ihrer Haustür gefunden und ihn sofort
aufgenommen. Ivan wusste nicht, ob davor Kontakt mit seinen Eltern bestanden hatte. Doch er
vermutete, dass sie ihn sofort akzeptierten, da ihnen der Kinderwunsch verwehrt geblieben war.
Seitdem zogen seine Tante und sein Onkel Ivan mit all ihrer Liebe auf. Sie entwickelten sich in dieser
Zeit zu seiner einzigen und wahrhaft richtigen Familie. Und er war für sie der Sohn, den sie sich
immer gewünscht hatten.
Die grünen Wiesen, die Ivan durchschritt, beherbergten bunte Schmetterlinge und dunkle Vögel,
die mit ausgebreiteten Flügeln durch die Luft schwebten. Die aufgewühlten Tiere suchten bereits
ihr Futter für das Abendessen.
Der Junge gähnte laut und schloss für ein paar Augenblicke seine müden Augen, die vor Erschöpfung
bereits feurig zu kribbeln begannen. So viel Training, so wenig Zeit. Nicht einmal richtig
schlafen konnte er. Wann hatte er überhaupt das letzte Mal ausgeschlafen? „Es ist bestimmt schon
zwanzig Tage her“, seufzte Ivan innerlich. Es war ein Elend, dass die Zeit in einem so schnellen
Tempo an ihm vorbeiraste, dass er sich nicht einmal einen einzigen Tag lang ausruhen konnte.
Ivans Beine wirkten ausgelaugt. Jeder Schritt tat weh. Doch er sollte sich nicht lange quälen müssen.
Nach wenigen Minuten Fußmarsch erblickten seine schwachen Lider bereits die ersehnte Haustür.
Ivans Zieheltern und er lebten in einem kleinen Haus am Rande des beschaulichen Dorfes Doga,
zu dessen Bewohnern sich eine überschaubare Zahl Menschen zählen konnten. Die Behausungen in
dem Dorf, eigenhändig von den Bewohnern gefertigte Holzhütten, zeichneten sich durch ihre altmodische
Bauweise aus: Die Dächer aus Stroh, die Wände aus sehr fein geschnittenem Buchenholz
und die Türen mit klappernden Türklopfern versehen. Die Liebe, die ein jeder in sein Heim gesteckt
hatte, spürte man in jeder Faser. Zusammen wirkten Dach und Wände wie eine einst von der Natur
füreinander geschaffene Einheit.
Gewiss gab es woanders größere Behausungen, festere. Doch nirgendwo auf der Welt gab es
schönere. In den weiten Landschaften fern des kleinen Dorfes lagen große Städte mit Häusern aus
festen Steinen und großen Kirchen oder Türmen. Doga hatte es jedoch allen Vorschlägen zum Trotz
stets abgelehnt, sich an diesem Fortschritt zu beteiligen. Die Dorfbewohner liebten ihre zurückhaltende
Art und ihr altmodisches Dorf. Nicht zuletzt deswegen hatte man sich irgendwann von den
anderen Teilen der Welt Figorns abgekapselt.
Ivan berührte vorsichtig das dunkle Türholz. Er lächelte jedes Mal, wenn er die alte Hütte seiner
Familie betrachtete. Obwohl jedes Haus seine eigene Pracht und Schönheit besaß, meinte der Junge
zu wissen, dass das von ihm und seinen Zieheltern das schönste im Dorf wäre. Der Junge besaß
einen gewissen Stolz, nicht nur auf sein Haus, sondern auf das ganze Dorf, in dem er lebte. Vor allem
aber mochte er die Menschen, die die Hütten bewohnten. Es herrschte ein sehr angenehmes
Miteinander in Doga, das kaum mit einer Stadt oder anderen bewohnten Gebieten zu vergleichen
war. Eine magische Aura, die das Dorf von der Außenwelt abgrenzte, lag über den Zäunen und beschützte
dessen Bewohner vor allem Bösen. Die Dörfler bildeten eine große Familie, in der Streitigkeiten
in weiter Ferne lagen oder sich unmenschlich schnell lösten. Die Leute halfen sich gegenseitig,
ohne zu zögern, wenn Arbeiten am Haus oder im Garten drängten, die man allein schwer zu
erledigen vermochte. Selbst die Jugendlichen packten immer an, wenn sie gebraucht wurden.
In Ivans Alter gab es vier weitere Kinder. Mit zweien von ihnen hatte der Junge mehr zu tun, mit
den anderen weniger. Man konnte schon sagen, dass es sich bei seiner Gruppe um ein Dreiergespann
handelte. Melina, Jonas und er.
Das Meiste machte der Junge jedoch mit seinem besten Freund, den er kannte, seit die beiden sich
zurückerinnern konnten.
Jonas und er teilten so viele Erlebnisse, wie nur wenige Freunde. Der Junge wusste alles von ihm,
wenn nicht sogar mehr als er selbst. Umgekehrt verhielt es sich genauso. Ivan sprach nur wenig
über seine Träume und Wünsche – aber wenn, dann mit Jonas.
Ivans größter Traum handelte davon, als Krieger durch die Welt zu reisen. Er flüchtete sich oft in
eine Scheinwelt, die er mithilfe von Schwert und Bogen vor bösen Monstern und grausamen Banditen
rettete. Dabei durchquerte er in seinen Gedanken die verschiedensten Landschaften: Wunderschöne,
die in der Sonne glänzten, zerstörte, von denen nur noch Schutt und Asche übrig blieben,
oder verregnete, in deren Matsch man jede Fußspur sehen konnte.
Täglich trainierte Ivan für seinen Traum, der sich in ihm regte, soweit er denken konnte. Meistens
mit seinem besten Freund Jonas, mit seinem Onkel oder mit dem alten Flink, der für den Jungen
Lehrmeister und Freund zugleich symbolisierte.
In letzter Zeit bereitete der Junge sich jedoch nicht nur für seine unerfüllte Weltreise vor, sondern
vor allem für das Turnier, an dem er teilnehmen wollte. Es handelte sich um einen Wettkampf, der
jedes Jahr von Neuem zu Ehren des sogenannten 5-Seelen-Schwertes ausgetragen wurde. Diese
Waffe steckte in einem Stein, im Tal nahe des Dorfes Doga und versprühte die zauberhafte Kraft,
die in ihr steckte, auf die Bewohner und die hübsche Landschaft des Gebietes.
Ivan liebte die magische Atmosphäre seines Dorfes, in dem damals auch Flavius, der legendäre
Träger des heiligen Schwertes, gelebt hatte.
Flavius zählte zu Ivans größten Vorbildern. Der Junge vergötterte den uralten Krieger und konnte
sich nichts Besseres vorstellen, als in der alten Zeit zu leben, in der Flavius gegen die Finsteren,
eine Gruppe merkwürdiger dunkler Wesen, gekämpft hatte. Am liebsten hätte Ivan, wie in einigen
seiner häufigen Tagträume, selbst an der Seite seines Idols gestanden. Doch zumindest bei diesem
Traum wusste der Junge, dass er nie Wirklichkeit werden konnte. Flavius hatte mehrere Tausend
Jahre vor Ivan gelebt und war schon lange tot.
In manchen Nächten, als er einsam, einzig von seinen Gedanken geprägt, im Bett lag, stellte der
Junge sich vor, wie es wäre, genauso legendär und berühmt aufzutreten wie sein Vorbild – ein
Wunsch, den er jedoch jedes Mal von Neuem in das Reich der Träume verwies. In anderen überlegte
Ivan, den Versuch zu starten, das 5-Seelen-Schwert am Rande des Dorfes aus seinem Stein zu
befreien. Er verwarf diesen Gedanken jedoch jedes Mal wieder. Das 5-Seelen-Schwert sollte Legenden
zufolge eine unglaubliche und unberechenbare Macht besitzen; eine Kraft, die Ivan nicht
aus Versehen heraufbeschwören oder herausfordern wollte.
Die Geschichte des Schwertes war so alt wie das Dorf selbst. Die Magie gefährlicher als ein Sturz
von dem zu Betreten verbotenem Berg, der an das Tal der heiligen Waffe grenzte.
Nachdem er die Haustür mit einem leisen Quietschen öffnete, warf Ivan sein Schwert in die Ecke
und kuschelte sich in das rote Sofa, das im Wohnzimmer zwischen zwei grünen Pflanzen stand. Er
legte sich dort gerne hin, fand in dem warmen Stoff einen Ort zum Durchschnaufen und Aufladen.
Den kuscheligen Platz in der kleinen warmen Hütte vor dem Kamin bezeichnete er bereits seit Längerem
als seinen eigenen. Er thronte dort, wenn seine Familie sich mit Freunden traf, sie zusammensaßen
und sich unterhielten, oder wenn sie alle einfach im Wohnzimmer lagen, wo sie vor Erschöpfung
fast einschliefen. Ivan breitete sich aus, wenn er und seine Freunde das Haus für sich allein
hatten, wenn er die Einsamkeit suchte, während seine Eltern arbeiteten, oder wenn er gerade
nichts anderes vorhatte. Der Junge lächelte bei diesen Gedanken: „Im Prinzip sitze ich immer auf
diesem Platz, wenn ich mich im Wohnzimmer aufhalte.“ Der weiche Stoff, aus dem das Sofa damals
von einem bereits verstorbenen Dorfbewohner gefertigt worden war, passte sich genau an seinen
Körper an und gab ihm ein gewisses Gefühl von Wohlbefinden und Geborgenheit. Der Kamin
neben dem sanften roten Möbelstück, in dem meistens ein Feuer prasselte, ließ besonders in den
kalten Tagen des Winters das ganze Haus in einer gemütlichen und angenehmen Wärme erstrahlen.
Ivan wandte seinen Blick von dem dunklen Holz im Schlund des Kamins ab. Mit diesen kalten
Tagen wollte er sich gar nicht erst beschäftigen. Diese Jahreszeit lag so weit von ihm entfernt wie
sein Leben von dem von Flavius. Die Schnee treibenden Monate würden früh genug zurückkommen.
Jetzt galt es erstmal, den Frühling zu genießen.
Der Junge ließ die Augen über das ihm vertraute Wohnzimmer schweifen. Von einem alten Holztisch
direkt vor ihm über zwei Sessel hinweg zu dem Platz, an dem seine verstorbene Katze früher
immer geschnurrt hatte. Zärtlich und in sich gekehrt, als wäre Ivan der Einzige auf der Welt, den sie
wahrnahm.
Seufzend ließ der Junge sich in das weiche Kopfkissen des Sofas sinken, erholte sich vom Training
und verdrängte die trüben Gedanken an seinen toten Liebling. Er hatte erst einmal alle Zeit der
Welt im Rücken, um zu tun was ihm beliebte – sei es im Haus, im Garten oder auf den freien Feldern.
Sein Onkel und seine Tante würden erst in einigen Stunden von der Arbeit zurückkehren.
Ivans Onkel hatte täglich in der Schmiede zu tun, die der Familie schon seit Generationen gehörte
und in all den Jahrzehnten ihrer Existenz von Sohn zu Sohn weitervererbt wurde. Einst, so hatte er
seinem Ziehsohn bereits mit geteilt, würde sein Onkel Ivan, seinem einzigen Sohn und somit Erben,
dieses Geschäft vermachen. Dort würde der Junge in ferner Zukunft wie von magischer Hand Waffen
und Rüstungen für die ganze Welt anfertigen.
Ivans Vorstellungen über seine Zukunft freundeten sich nur schwer mit dieser Vision seines Onkels,
der wohl bitteren Realität, an. Die Träume des Jungen ließen ihn selbst mit den Waffen kämpfen,
nicht die Werkzeuge für andere herstellen. Doch wenn in den nächsten Jahren kein Wunder geschah,
würde er bald in der Schmiede zu arbeiten beginnen.
Ivans Tante übte einen weniger traditionsreichen Beruf aus: Sie arbeitete in einem Kräuter- und
Heilladen, den es noch nicht seit allzu langer Zeit in Doga gab. Erst vor etwa zehn Jahren entdeckten
die Menschen im Dorf, welche heilenden Zauberkräfte in manchen besonderen Arten von
Pflanzen steckten, welche Magie manche Sträucher umringte und dass selbst Unkraut ein magisches
Lebewesen war, in dem geringe Kräfte schlummerten. Die gewinnbringenden Erkenntnisse kamen
in etwa mit der häuslichen Erneuerung. Damals wurden nicht nur die Möbel modernisiert, sondern
auch die Hütten zu richtigen Holzhäusern ausgebaut und gefestigt.
Heute, nach zwei freien Tagen, an denen die Arbeit liegen geblieben war, hatten Ivans Zieheltern
mehr zu tun als sonst. Sie kamen an diesen Abenden oft nicht vor Sonnenuntergang nach Hause und
fielen bei der Heimkehr erschöpft ins Bett. Ivan war es recht, denn dadurch musste er weder im
Garten arbeiten, noch lernen und konnte die ihm zur freien Verfügung geschenkte Zeit nutzen, um
sich ein wenig auszuruhen. Der Junge atmete bereits schwer und seine Augenlider klappten von
Mal zu Mal schneller nach unten. Seit Tagen hatte er vor dem Arbeiten im Garten mehrere Stunden
mit Jonas trainiert, um am bald anstehenden 5-Seelen-Turnier den Titel zu erringen.
Das Einzige, was die Menschen im Dorf mehr vergötterten, als dieses Turnier, war die Waffe
selbst. Bereits mehrere Tage vor Beginn der Ehrenspiele veranstalteten die Dorfbewohner Feste,
sangen Lieder und tranken, bis sie umfielen. Sie ehrten nicht nur das Turnier selbst, sondern jeden
einzelnen seiner vielzähligen Teilnehmer.
Die Kontrahenten traten während der Spiele in zwei verschiedenen Runden an, um einen Titel zu
erringen: Im ersten Durchgang fochten die Erwachsenen einen Gewinner unter sich aus, im zweiten
die Kinder und Jugendlichen. Ivan und Jonas hatten dabei noch ein paar Jugendturniere auszustehen,
bevor sie in die obere Altersgruppe kommen würden. Diese hatte man vor etwa zehn Jahren ab
zwanzig festgesetzt.
Gekämpft wurde bei den Ehrenspielen mit Holzschwertern, die sich in den Jahren der verschiedenen
Turniere als optimal für diese Wettkämpfe herausgestellt hatten – man konnte sich keine
schlimmen Verletzungen zuziehen und trotzdem wiesen die Schwerter eine gewisse Stabilität auf
und brachen nicht bei der kleinsten Berührung entzwei.
Um das Turnier zu gewinnen, galt es alle Rivalen nacheinander unter Wettkampfbedingungen
auszuschalten. Die freiwillig Angetretenen kämpften in einem großen Ring, mitten auf dem
schmächtigen Dorfplatz, den ein festes Seil umhüllte. Wer es schaffte, seinen Gegner in Ohnmacht
zu schlagen, aus dem Ring zu werfen oder zur Aufgabe zu zwingen, hatte gewonnen.
Diese Regeln galten schon seit mehreren Hundert Jahren und alle Bewohner Dogas kannten sie
auswendig. Gewöhnliche Städter zeigten sich zwar sehr überrascht darüber, doch sie gehörten zur
schulischen Grundausbildung des Dorfes wie das Lesen und Schreiben.
Nachdem Ivan im letzten Jahr ganz knapp im Halbfinale gescheitert war und weder er noch Jonas
den Titel '5-Seelen-Juniorenmeister' erringen konnten, packte die beiden dieses Jahr der feste Entschluss,
dass einer von ihnen das bald anstehende Turnier für sich entscheiden sollte. Für ihr großes
Ziel trainierten sie die letzten Tage zusammen bis zum Ende ihrer Kräfte, obwohl sie nach eigener
Einschätzung die beiden stärksten und wendigsten Jungen im Dorf waren. Es nagte noch immer ein
wenig an den beiden, dass Marc, der nicht so starke und erprobte Titelverteidiger, es letztes Jahr mit
ein wenig Glück und List geschafft hatte, die beiden in die Knie zu zwingen.
Flink, Ivans Lehrmeister, half den beiden Jungen in den letzten Jahren täglich beim Training. Er
stellte nicht nur einen guten Mentor dar, sondern ebenfalls einen Freund, dem man Sorgen und Geheimnisse
anvertrauen konnte. Zudem erzählte Flink Ivan jedes Mal, wenn sie sich trafen, eine Geschichte
über das 5-Seelen-Schwert und seinen damaligen Träger Flavius. Von ihm hatte der Junge
erfahren, dass der legendäre Held damals seine eigene Seele in die heilige Waffe versiegelte und
dass bisher noch niemand es geschafft hatte, das Schwert aus dem Stein zu befreien.
Die letzten Tage sah Ivan Flink jedoch kaum. Eigentlich gar nicht. Der ältere Mann trainierte
selbst von morgens bis abends wie ein Verrückter. Nachdem der alte Geschichtenerzähler die letzten
Turniere alle für sich entschieden hatte, wollte er auch diesmal seinen Titel behalten – auch
wenn es sich von Jahr zu Jahr als schwieriger erwies.
Zu dem harten Training kamen für Ivan und Jonas die ganzen Handwerkereien im Dorf – besonders
natürlich die im eigenen Garten – und das Lernen. Ivans Onkel und seine Tante unterrichteten
den Jungen neben der harten Arbeit, die sie generell jeden Tag hatten, in allem was man benötigte,
um einen festen Stand im Leben zu erlangen. Bei Jonas und seinen Eltern verhielt es sich gleichermaßen.
Flink unterstützte die beiden Familien zwar bei der Ausbildung, beschränkte sich jedoch
mehr auf das Kämpfen, als auf die elementaren Grundlagen des Lebens. „Schon vor vielen Jahrzehnten
wurde alles Wissen von Generation zu Generation weitergegeben“, predigten die Dorfbewohner,
die eine Schule strikt ablehnten, ihren Kindern in regelmäßigen Abständen.
Ivan lächelte. Die Müdigkeit wurde unbemerkt Herr über ihn und schloss sanft seine Augen.
Während er auf dem Sofa lag, sich ausruhte und in einen Dämmerzustand hinüberglitt, schlief er
schließlich ein.
Ivan wachte verschlafen auf, als er von der anderen Seite des Fensters leise Schritte vernahm. Ohne
Vorwarnung knallte die Tür mit einem lauten Knirschen ins Schloss. Es ließ den Jungen für eine
Schrecksekunde zusammenzucken. Er spürte, wie seine Muskeln sich anspannten, um sich einen
Moment später wieder zu entspannen. „Spätestens jetzt“, überlegte er seufzend, „hätte es mich geweckt.“
Ivan gähnte die letzte warme Luft aus seinem Körper. Dann streckte der Junge einmal die Arme in
die Luft und ließ seine Gelenke leise knacken. Eine geheime Leidenschaft des sonst so vorsichtigen
Jungen.
Der Junge rieb sich die Müdigkeit aus den Augen und stand noch ein wenig schlaftrunken auf.
Aus der Ferne hallten gedämpfte Stimmen, doch Grund zur Panik gab es nicht den geringsten. Er
konnte sich ziemlich sicher sein, wer gekommen war.
Ivan ging einige Schritte durch das Wohnzimmer, blieb unbemerkt an der Wandecke stehen und
spähte vorsichtig zum Eingang hinüber.
Seine Eltern standen in der Tür. Wie sollte es auch anders sein? Er ertappte sie dabei, wie sie sich
die Schuhe von den Füßen zogen, vergnügt lachten und die Zweisamkeit genossen. Wie so oft,
wenn Ivans Onkel seine Tante von der Arbeit abholte.
Ein merkwürdiges Gefühl regte sich in ihm. Freude, wenn er es richtig deutete. Vielleicht sogar
Liebe. Ja, er liebte seinen Onkel und seine Tante. Sie waren seine Familie, seine Eltern.
Bevor das glückliche Ehepaar ihren Sohn sehen konnte, verschwand Ivan jedoch auf der Treppe
nach oben. Sie müssten ihn jetzt nicht so vorfinden, völlig ausgelaugt und verschlafen. Und bevor
die Erschöpfung für ihn eine peinliche Angelegenheit wurde, zog er sich lieber in sein Zimmer zurück.
Nachdem der Junge die Treppe zum Dachboden hinter sich gelassen und die Tür vorsichtig geschlossen
hatte, ließ er sich aufs Bett fallen und passte seinen Körper der weichen Matratze an.
„Sie sind wirklich glücklich zusammen“, überlegte Ivan betrübt. Es musste schön sein, einen
Menschen zu haben, den man so sehr achtete. „Und vor allem muss es schön sein, jemanden nach
so vielen Jahren immer noch von ganzem Herzen zu umschwärmen.“ Manchmal, wenn er seine
Zieheltern zusammen sah, wurde Ivan klar, dass er noch nie wirklich geliebt hatte. Eine feste
Freundin für den Jungen schien ferner als die Träume von Flavius. Für ihn hatten Mädchen seit er
lebte nichts weiter als Freunde dargestellt. Erst seit etwa einem Jahr, nahm der Junge wahr, dass es
auch etwas anderes als Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Mädchen geben konnte. Er
brauchte zwar noch nicht unbedingt eine Freundin, aber an manchen Tagen sehnte er sich fast danach
auf ein Mädchen zu treffen, das auch sein Herz höher schlagen ließ. Eine, bei der er Liebe und
Geborgenheit finden konnte. Doch wo sollte man so jemanden finden? Im Dorf gab es keine, die für
den schüchternen Jungen infrage gekommen wäre. Die Mädchen aus Doga waren entweder zu alt,
zu jung oder er interessierte sich nicht mehr als freundschaftlich für sie. Vielleicht kannte er sie
auch bereits zu lange.
„Um so jemanden zu finden“, grübelte er schon seit Längerem, „müsste man das Dorf wohl verlassen
…“